Die Bayerischen Theatertage

Die Entstehungsgeschichte der Bayerischen Theatertage hat viel mit Ingolstadt und dem langjährigen Intendanten Ernst Seiltgen (1973 – 1995) zu tun. Dieser hatte als junger Intendant am Landestheater Tübingen die 1968 gegründeten Baden-Württembergischen Theatertage kennengelernt. Als er 1973 über eine Zwischenstation als Intendant am Theater Oberhausen nach Ingolstadt kam, verfolgte er sehr bald das Ziel, ein solches Theatertreffen auf Landesebene auch in Bayern zu etablieren. In alten Sitzungsprotokollen lässt sich nachlesen, wie nahezu ein Jahrzehnt darüber diskutiert wurde; jedoch behielten lange Zeit die Bedenkenträger*innen die Meinungsführerschaft: zu teuer, zu aufwendig und so weiter.

August Everding kommt zur Hilfe

Schließlich kam Ernst Seiltgen dann ein alter Freund aus den Anfängerjahren zu Hilfe: August Everding. Die beiden hatten sich in den 1950er Jahren als Regieassistenten an den Münchner Kammerspielen unter Hans Schweikart und Fritz Kortner kennengelernt. Everding war 1973 Intendant der Hamburgischen Staatsoper geworden, 1977 holte ihn Kultusminister Hans Maier zurück nach München und setzte ihn Wolfgang Sawallisch, dem bislang alleinherrschenden Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper, als Intendanten vor die Nase. Dies ging nicht lange gut und führte 1982 zur Entscheidung, Sawallisch zum Staatsoperndirektor und Everding zum Generalintendanten der Bayerischen Staatstheater zu ernennen. Mit maßvollem Etat, Dienstwagen, Fahrer – aber ohne besondere Aufgaben.

Und so konnten schließlich 1983 die von Everding und Seiltgen initiierten ersten Bayerischen Theatertage an den (damaligen) Städtischen Bühnen Nürnberg stattfinden, finanziert durch die Münchner Generalintendanz. Im Nürnberger Schauspielhaus wurden insgesamt elf Schauspielinszenierungen der bayerischen Theater gezeigt, dazu noch etwas Beiprogramm wie Liederabende und Lesungen. Jedes Theater konnte schicken, was es mochte. »Eine Jury wollen wir nicht!«, sagte Everding damals in einem TV-Interview. Und Seiltgen ergänzte später in der Süddeutschen Zeitung: »Jeder blamiert sich, so gut er kann.«

20.000 D-Mark Preisgeld

Bereits ein Jahr später, beim 2. Theatertreffen in Bamberg, verkündete Everding, dass er seinem Freund, dem Regensburger Fürsten Johannes von Thurn und Taxis, ein jährliches Preisgeld für die Bayerischen Theatertage in Höhe von 20.000 D-Mark abgerungen hatte. Damit war der anfangs gar nicht gewollte Wettbewerb in die Theatertage eingezogen und eine »Fachjury« (unter der Führung von Everding) entschied fortan über Preise für Darsteller*innen, Regisseur*innen oder ganze Produktionen.

Allerdings wurden diese Preise nicht zum Ende der Theatertage, sondern in der Regel ein halbes Jahr später im Regensburger Fürstenschloss verliehen. So blieben sie leider ohne große Außenwirkung.

Über den Tellerrand hinausschauen

Die Bayerischen Theatertage wurden von 1983 bis 2018 im jährlichen Turnus durchgeführt und entwickelten sich zu einem großen Publikumserfolg. Für die Zuschauer*innen bestand so die einmalige Gelegenheit, über den Tellerrand hinauszuschauen und das eigene Ensemble mit den bayerischen Nachbarn zu vergleichen, ohne dazu selbst reisen zu müssen. Und für die Theater entstand eine Art »Klassentreffen«, bei dem sich auch ehemalige Kolleg*innen wenigstens am Abend im Theaterzelt wiedersehen konnten. Die Theatertage waren in den 40 Jahren in sämtlichen bayerischen Theaterstädten mehrfach zu Gast, in Ingolstadt in den Jahren 1986, 1993, 2001 und 2008. Allein um die Landeshauptstadt haben die Theatertage bislang einen großen Bogen gemacht.

Über die Jahre sind die Bayerischen Theatertage gewachsen: Aus den elf Produktionen des Jahres 1983 wurde ein Festival mit in manchen Jahren über 50 Vorstellungen. Inzwischen sind auch sämtliche Sparten vertreten und gerne als Gäste gesehen: Musiktheater, Tanztheater, Theater für junges Publikum. Dazu gab es immer ein attraktives Beiprogramm. Viele Ingolstädter*innen erinnern sich sicher noch an das Theaterfloß auf der Donau 2008.

Nach dem Tod des Regensburger Fürsten 1990 übernahmen verschiedene Kreditinstitute die Zurverfügungstellung der Preisgelder, zuletzt die LfA Förderbank Bayern. Nach Auflösung der Münchner Generalintendanz (1993) übernahm der Freistaat Bayern zusammen mit dem Landesverband Bayern im Deutschen Bühnenverein die finanzielle Förderung der Theatertage.

Keine Fachjury mehr, dafür neuer Rhythmus

Im Jahr 2013 wurde die Vergabe von Preisen innerhalb der Theatertage durch eine Fachjury abgeschafft, da aufgrund der Programmvielfalt kein*e Juror*in nur annähernd alles sehen konnte. Im Weiteren beschloss die Intendant*innengruppe im Landesverband Bayern eine Art Relaunch. Nach 2018 sollten die Theatertage nur noch im zweijähren Rhythmus stattfinden, wodurch auch die jeweils gastgebenden Häuser mehr Vorbereitungszeit bekommen sollten. Zugleich wurden die Theater aufgefordert, bestimmte Produktionen aus ihrem Spielplan für die Theatertage vorzuschlagen, die dann von einem mehrköpfigen Kuratorium gesichtet und schließlich für das Programm der Theatertage ausgewählt werden. 2020 sollten die Theatertage in Memmingen erstmals nach dem neuen Gestaltungsmuster stattfinden, doch die Corona-Pandemie verhinderte dies, ebenso wie einen zweiten Anlauf 2021.

So wurden die 38. Bayerischen Theatertage im Mai 2022 in Bamberg erstmals in der neuen Form präsentiert, die auch für Ingolstadt 2024 Anwendung findet.

In den Jahren zwischen den Theatertagen sollte ab 2021 ebenfalls zweijährlich das Festival »SÜDWIND – Bayerisches Theatertreffen für junges Publikum« stattfinden. Nachdem der Start 2021 in Ingolstadt ebenfalls noch der Pandemie zum Opfer fiel, ist die Premiere im Sommer 2022 umso mehr gelungen!

Die Zukunft der Theatertage

Die Zukunft? Viele bayerische Theater stecken mitten in jahrelangen Sanierungen oder stehen (wie Ingolstadt) noch davor. So wird es auch für die Bayerischen Theatertage in den kommenden Jahren nicht leichter werden, immer wieder einen Gastgeber zu finden. Wer weiß schon, ob er in vier oder sechs Jahren überhaupt ein spielfähiges Haus hat? Braucht man dann auch noch die Theatertage?

Aus der eigenen Erfahrung heraus, dass ich bereits fünfmal Bayerische Theatertage vorbereiten und durchführen durfte (dreimal in Ingolstadt), kann ich zurückblickend dazu nur sagen: »Es lohnt sich. Es macht viel Arbeit, aber es macht auch unheimlich viel Freude.«

Thomas Schwarzer
Deutscher Bühnenverein
Landesverband Bayern